Hanau

Am Abend des 19.02.2020 wurden in Hanau (Hessen) neun Menschen von einem rechtsradikalen Sportschützen ermordet. Weitere Personen wurden teils schwer verletzt. Nach der Tat erschoss der Täter, Tobias R. erst seine Mutter und dann sich selbst. Durch eindeutige Äußerungen im Internet, auch in Form von Videos und Bekennerschreiben wissen wir, dass Tobias R. ein rassistisches, frauenfeindliches Weltbild hatte und sich daraufhin entschieden hat, Menschen zu ermorden. Wir sind traurig, wütend und schockiert. Wir gedenken den Opfern aus Hanau!

† Ferhat Unvar (22 Jahre alt)

Mercedes Kierpacz (35 Jahre alt)

Fatih Saraçoǧlu (Alter unbekannt)

Sedat Gürbüz (30 Jahre alt)

Gökhan Gültekin (37 Jahre alt)

Hamza Kurtović (20 Jahre alt)

† Kaloyan Velkov (33 Jahre alt)

Vili Viorel Păun(23 Jahre alt)

† Said Nesar Hashemi (21 Jahre alt)

Aus diesem Anlass fand am Donnerstagabend (20.02.20) eine antifaschistische Demonstration in Bielefeld statt, an der gut 500 Personen teilnahmen. Antifaschist*innen hielten einen Redebeitrag, den wir auf unserem Blog veröffentlichen dürfen. Danke an die Gefährt*innen für die klaren Worte.

Redebeitrag 20.02.2020

Gestern Abend zog der 43- jährige Tobias R. in Hanau in Hessen los und erschoss in zwei Läden 9 Menschen, die nicht in sein rassistisches Weltbild passten. Im Anschluss erschoss er seine Mutter und sich selbst. Er hat ein Bekennerschreiben und ein Video hinterlassen, in dem er von der Notwendigkeit, „bestimmte Volksgruppen zu bekämpfen und zu töten“ schwadroniert. Der Täter faselt von wirren Verschwörungstheorien und schon geht es wieder los: alle stürzen sich auf das Bild des verwirrten Einzeltäters. Es ist immer die gleiche Scheiße! Rassist*innen, Faschist*innen, Nazis ziehen los und ermorden Menschen und der Rest der Gesellschaft übt sich in Schock und Abwehrreaktionen. Die Opfer rechter Gewalt sind zum großen Teil Angehörige gesellschaftlich nicht anerkannter oder diskriminierter Gruppen: Jüd*innen, Menschen muslimischen Glaubens, Geflüchtete, Menschen mit zugeschriebenem Migrationshintergrund, Obdachlose, LGBTQ- Personen oder Linke. Menschen, die um ihren Platz in der Gesellschaft täglich kämpfen müssen. Menschen, die vom Staat keine Aufklärung oder Hilfe erwarten können. Würde die Gesellschaft auch so reagieren, wenn ein Täter bei den Wagner- Festspielen Amok läuft?

Sylvester 2018 fuhr ein Mann in Bottrop und Essen 14 Menschen an und verletzte sie schwer, er hatte sich vorgenommen, Menschen mit Migrationshintergrund zu töten. Der Täter gilt juristisch als schuldunfähig, die Tat zählt nicht als rechte Gewalt. Nach dem Amoklauf von München, bei dem neun Menschen getötet und viele weitere verletzt wurden, dauerte es drei Jahre, bis die Tat als rechte Gewalttat anerkannt wurde. Wir stehen heute hier, weil wir eine solche Verharmlosung nicht zulassen werden!

Es ist egal, ob ein rassistischer Attentäter Depressionen oder eine Psychose hat – die Tatmotive werden nicht durch eine psychische Erkrankung relativiert! Rechte Gewaltfantasien und Verschwörungstheorien kommen nicht aus heiterem Himmel oder der isolierten Seele verwirrter Einzeltäter. In der deutschen Gesellschaft herrscht ein rassistischer Konsens und wir alle tragen täglich dazu bei. Mit jeder Talkshow, in der die Faschist*innen der AfD ihre Meinung vor einem Millionenpublikum verbreiten dürfen, mit jedem Interview. Mit jeder ach so bürgerlichen Partei, die einen Sarrazin über Jahre bei sich duldet oder sich von der AfD bei Wahlen unterstützen lässt. Wir lassen es zu, dass die CDU/ CSU seit Jahrzehnten rassistische Drohkulissen aufbaut und mit Unterstützung von SPD und Grünen Asylgesetze verschärft. Es sind Entscheidungen, Mitglied in diesen Parteien zu sein oder Zeitungen zu abonnieren, in denen gegen Geflüchtete gehetzt wird.

In jedem Moment, in dem wir rassistische Witze unkommentiert lassen oder bei racial profiling der Polizei einfach zuschauen tragen wir zu dem Erstarken der Rechten bei. In jedem Moment, in dem durch Patriotismus und Nationalstolz die Gemeinschaft beschworen und ganze Menschengruppen ausgegrenzt und entwertet werden. Wenn wir Opa rührselig vom Krieg erzählen oder unsere Tante von „kriminellen Ausländern“ sprechen lassen. Wir alle tragen Verantwortung. Und es ist eben dieser rechte Konsens, der Taten wie Hanau, Halle vor 4,5 Monaten oder den Amoklauf von München 2016 trägt und inspiriert. Der rassistische Mob ist 24/7 im Internet erreichbar, es braucht zur Radikalisierung keine Kameradschaften mehr. Mit jedem rechten Kommentar auf Facebook oder Twitter, den wir dulden, mit jeden Verständnis für rechte Positionen machen wir uns mitschuldig. Wenn ihr die deutsche Fahne zur WM oder aus sonstigem Stolz an euer Auto oder in euer Fenster pinnt, dann kauft ihr das alles mit ein.

Tobias R. war teil dieser Gesellschaft, gut integriert, Sportschütze, aktiv im Schützenverein, fuhr einen schwarzen BMW. Ein normaler Deutscher. Und gestern zog er los und ermordete neun Menschen.

Wir denken immer noch zu oft, rechte Gewalt und rechtes Morden sei die Ausnahme, aber rechte Gewalt ist trauriger Alltag in Deutschland! Ob durch online radikalisierte Täter wie in Halle oder München oder organisierte Rechte wie beim Mord an Walter Lübcke, dem NSU oder der Gruppe Somogyi, die am vergangenen Wochenende aufgeflogen ist und von der drei Mitglieder aus OWL kommen. Rechte Gewalt ist Alltag und beginnt genau hier und es liegt bei jedem Einzelnen von uns, sich jeden Tag, konkret und persönlich dagegen zu stellen!

Seit 1990 sind in Deutschland über 200 Menschen von Nazis und Rassist*innen ermordet worden. Über 200 Menschen starben, weil sie nicht in das Weltbild und die Ideologie der Täter*innen passten. Hinter jedem dieser Morde steht der Name, die Geschichte, die Familie eines Opfers. Wir sind heute hier, weil wir nicht vergessen. Und weil wir nicht schweigen. Wir gedenken der Opfer rechter Gewalt, heute wie damals. An diesem Donnerstag gedenken wir besonders den Ermordeten von Hanau und ihren Familien und Freund*innen, die nun ohne ihre Lieben weiter machen müssen. Ihnen gilt unsere Solidarität und Anteilnahme. Wir werden nicht vergessen!