Stellungnahme zum bisherigen Verhalten von Rektorat und juristischer Fakultät der Universität Bielefeld in der Sache Martin Schwab

Am 21.03.22 haben wir unsere Recherche zu Martin Schwab veröffentlicht und auch an die Universität Bielefeld und die dortige juristische Fakultät versandt.

Sowohl Rektorat als auch Dekanat der Fakultät für Rechtswissenschaft geben an, Schwabs Positionen zu der Covid-19-Pandemie nicht zu teilen. Außerdem werde das Rektorat „die vorliegenden Informationen sorgfältig auswerten und in Hinblick auf die Grenzen der Meinungsfreiheit und beamtenrechtlichen Pflichten bewerten“. Inhaltlich geht die bisherige Positionierung von Rektorat und Fakultät nicht darüber hinaus, zu den Corona-Schutzmaßnahmen eine andere Position zu haben. Und genau mit dieser inhaltlichen Zurückhaltung billigen Rektorat und Fakultät Schwabs Positionen unkommentiert als akzeptabel. Wissenschaftlich nicht haltbare Fehlinformationen und juristisch falsche Gesetzesauslegungen werden so als für die Universität Bielefeld schlicht akzeptabel abgetan.

Auch Leser*innen, die keinen (wie auch immer gearteten) wissenschaftlichen Hintergrund haben, wird beispielsweise bei der Lektüre von Schwabs Wodarg-Verteidigungsschrift schnell auffallen, dass ein Großteil des Textes aus Schwurbelei, Mutmaßungen und Spekulationen besteht und mitnichten, wie Schwab selbst behauptet, aus „Forschungsergebnissen“. Es ist, nebenbei bemerkt, auch Schwabs einzige Schrift, die er über die Uni-Website extra bewirbt. Eine Schrift, in der Schwab bereits Presse und Medien als Feinde ausmacht. Er bezeichnet insbesondere die öffentlich-rechtlichen Medien als voreingenommen, als „Feind des Pluralismus“(S. 36) und „gebührenfinanzierte Boshaftigkeit auf der tiefsten Stufe der Niedertracht“ (S. 46). Wir fragen uns, wie das mit dem Selbstverständnis der Universität und der Fakultät für Rechtswissenschaften überein passt. Im Zuge der verschwörungsideologischen Demonstrationen ist es bundesweit zu einem massiven Anstieg gewaltsamer Angriffe auf Pressevertreter*innen gekommen. Mit seiner aggressiven Rhetorik und konstruierten Schuldzuweisungen an Journalist*innen trägt Martin Schwab zu der aggressiven Stimmung und auch dem Gewaltpotenzial seiner Zuhörer*innen bei den verschwörungsideologischen Demos bei. Am 18.03.22 belohnte sein Publikum Schwabs Worte mit „Lügenpresse“-Rufen. Wir fragen uns, wie die Uni Bielefeld dies unkommentiert stehen lassen kann.

Audio-Aufnahmen von einer von Schwab gehaltenen Vorlesung am 07.04.22 belegen, dass Schwab die medizinischen Falschinformationen, die er bereits seit 2 Jahren immer wieder verbreitet, auch gegenüber den Jura-Studierenden anbringt. Er halte von der geltenden Maskenregelung an der Uni nicht viel und forderte die Studierenden indirekt mehr als deutlich auf, die medizinischen Masken abzunehmen.

„[…] Ich will ja nicht, dass mir hier einer umfällt. Und das sage ich nicht, weil ich irgendwie Schwurbel- Schwurbel-Nazi-rechts-rechts-Nazi bin oder was man sich alles über mich erzählt, ne, sondern schlicht und einfach äh weil ich für ihre Gesundheit verantwortlich bin. So ne. Und das mit der Hyperkapnie und CO2 äh Überkonzentration und so was ähnliches steht halt dummerweise in peer-reviewten medizinischen [unverständlich]“.

Der Mythos der gesundheitlichen Schädigung durch Tragen medizinischer Masken ist mehrfach hinlänglich als falsch belegt worden. Schwab verbreitet ihn dennoch in seiner Vorlesung.

Jede Kritik an der verschwörungsideologischen Bewegung der Corona-Leugner*innen lehnt Schwab als inszeniert und erlogen ab. Wir verwenden den Begriff „Coronaleugner*in“ analog zur Definition des Duden: Personen, welche die Existenz oder die Gefahren der Covid-19-Pandemie leugnet. Daher passt der Begriff sowohl für die politische Szene, in der Schwab aktiv ist, als auch für Schwab selbst. Presse und Medien sind nicht nur wegen der Berichterstattung zu Corona und den Schutzimpfungen ein Dorn in Schwabs Auge, sondern auch besonders aufgrund der kritischen Berichterstattung zu den Demos der coronaleugnerischen Szene. Es ist vielfach belegt, dass bei den coronaleugnerischen Demos bundesweit neben Kritik an den Schutzmaßnahmen vor allem strukturell bis offen antisemitische Verschwörungsmythen, autoritäre Anrufungen sowie reichsideologische Positionen dominieren. Ein weit verbreitetes propagandistisches Mittel dieser Szene ist die systematische Relativierung der Verbrechen NS-Deutschlands. Mittlerweile gibt es mehrere wissenschaftliche Untersuchung dazu, zum Beispiel Nachtwey, Frei und Schäfer (2020) oder zuletzt Lamberty, Holnburger und Goedeke Tort (2022). Auch der Verfassungsschutz beschreibt antidemokratische und verschwörungsideologische Themen als bestimmend für die Szene, in der Schwab sich bewegt. Neben der ideologischen Verortung der bestimmenden Themen zeigen sich auf den Demos bundesweit und auch hier in Bielefeld immer wieder Neonazis, Reichsbürger*innen, Mitglieder der neofaschistischen Identitären Bewegung oder der nationalistischen AfD. Auch dies ist mehrfach und ausführlich belegt. Ebenso wie das Potenzial für gewaltsame Ausschreitungen. In seinen Stellungnahmen und auch seiner Rede vom 18.03.22 leugnet Schwab diese Umstände systematisch. Es ist für uns nicht nachvollziehbar, wie die gezielte Verbreitung von Desinformationen von der Uni Bielefeld unkommentiert geduldet werden kann.

In juristisch nicht haltbarer Weise betonte Schwab in seiner Rede und auch in seinen seither erfolgten Stellungnahmen:

Denn ich bleibe dabei: Wer unbescholtene Menschen, die einfach nur ihr Leben zurückhaben wollen, mit Rechtsextremen gleichsetzt, banalisiert das Treiben derjenigen, die wirklich mit einer ausländerfeindlichen und rassistischen Agenda unterwegs sind, und verharmlost auf diese Weise das NS-Unrecht. Einschlägig ist hier § 130 Abs. 3 StGB. (Martin Schwab, 01.04.22 via Facebook)

§ 130 StGB Abs. 3 legt ein Strafmaß von bis zu fünf Jahren für die Billigung, Leugnung oder Verharmlosung der Shoa und anderer NS-Verbrechen fest. Es ist der Paragraph, wegen dem die (Neo-)Nazis Ursula Haverbeck, Horst Mahler oder auch Rigolf Hennig mehrfach verurteilt wurden. Wenn Martin Schwab als Jura-Professor in der Öffentlichkeit eine offensichtlich falsche Rechtsauslegung propagiert und journalistische und antifaschistische Recherchen zu der verschwörungsideologischen Szene als „Verharmlosung des Holocaust“ (Schwab in seiner Rede am 18.03.22 auf dem Kesselbrink) verklärt, verleiht er dieser unhaltbaren Position einen vermeintlichen Experten-Status. Es ist eine gängige Diskurspraktik der geschichtsrevisionistischen Szene, durch die gezielte inhaltliche Enthölung der Begriffe die historische Dimension der Verbrechen NS-Deutschlands in der öffentlichen Meinung zu schwächen. Mit seinen falschen Darlegungen arbeitet Schwab dieser Szene aktiv zu. Und die Leitung der Universität Bielefeld und die juristische Fakultät akzeptieren durch ihre Nicht-Positionierung Schwabs Äußerungen als akzeptabel. Wir fordern das Rektorat der Uni Bielefeld und die juristische Fakultät auf, sich zu Schwabs Rechtsauslegung des § 130 StGB Abs. 3 zu äußern.

Mit unseren Recherchen haben wir sowohl im August 2021 als auch im März 2022 Schwabs wiederholte Zusammenarbeit mit Neonazi und Geschichtsrevisionistin Juliane Sprunk belegt. Schwab selbst räumt die Zusammenarbeit ein, versucht aber, Sprunk als „Mutter zweier Kinder“ zu entpolitisieren. Fakt ist, Schwab hat wissentlich mit Sprunk kooperiert, trat mit ihr gemeinsam bei einer von Sprunk organisierten Veranstaltung auf und zeigte sich dort mit ihr vertraut und per du. Juliane Sprunks Teilnahme an der neonazistischen Haverbeck-Demos ist ebenso eindeutig belegt wie ihre Aktivitäten in der verschwörungsideologischen sowie der geschichtsrevisionistischen Szene. Sprunk selbst bestätigte 2021 gegenüber der Neuen Westfälischen (NW) ihre Teilnahme an den Neonazi-Demos. Schwab negiert alle diese Evidenzen komplett, er übergeht Sprunks eigene Bestätigung der Recherchen und versucht so, seine Kooperation mit einer bekannten ultranationalistischen Akteurin zu verharmlosen. In seiner Stellungnahme an einen Redakteur der NW vom 01.04.22 schreibt Schwab auf Facebook:

Bisher kenne ich über die Dame, die mir als „rechter“ Kontakt zum Vorwurf gemacht wird, nur die Informationen, die im Dossier des bereits erwähnten antifaschistischen Recherche-Kollektivs erwähnt sind. Und diese Informationen halte ich in keiner Weise für vertrauenswürdig. Auch Sie liefern im Text Ihrer Fragestellung nur Behauptungen, aber keine Belege.

Wenn ich mich also näher damit beschäftigen wollte, müsste ich eigene Ermittlungen anstellen. Ich müsste herausfinden, bei welchen Veranstaltungen besagte Dame tatsächlich zugegen war, was das genau für Veranstaltungen waren, wer diese Veranstaltungen verantwortlich organisiert und durchgeführt hat und wie diese verantwortlichen Personen politisch einzuordnen sind. Ich müsste mir ferner nähere Kenntnisse über Ursula Haverbeck aneignen; denn sie war mir völlig unbekannt, bevor Herr Gerdener mich mit diesem Namen im Hintergrund-Interview zu seinem Hetz-Artikel gegen mich vom 10.8.2021 (Datum der Online-Veröffentlichung) konfrontierte.

Ich müsste wissen, was genau sie gesagt hat und wofür genau sie verurteilt wurde. Und als Rechtswissenschaftler würde ich mir selbstverständlich auch eine eigenständige Bewertung vorbehalten, ob mich das Urteil überzeugt. Das heißt: Selbst wenn die Frau bei bestimmten Veranstaltungen tatsächlich dabei gewesen sein sollte, müsste ich hinterfragen, auf welcher Tatsachengrundlage und anhand welcher Maßstäbe diese Veranstaltungen als missbilligenswert angesehen werden.

Solange ich das alles nicht gemacht habe, ist die Frau, mit der ich damals kooperiert habe, für mich eine unbescholtene Bürgerin.

Schwab muss keine „eigenen Ermittlungen anstellen“, Sprunk selber hat unsere Recherchen schon bestätigt. Da gibt es gar nichts zu debattieren. Für Schwab ist Sprunk „eine unbescholtene Bürgerin“. Angesichts der Erfahrung der Uni Bielefeld mit neonazistischen Studierenden insbesondere an der juristischen Fakultät und der daraus resultierenden Initiation der „Uni ohne Vorurteile“ möchten wir wissen, wie Rektorat und juristische Fakultät die politische Kooperation eines Universitätsprofessors mit einer ultranationalistischen Aktivistin & Haverbeck-Unterstützerin wie Sprunk bewerten. Und Schwabs Statement offenbart noch einen weiteren politisch sowie juristisch hochproblematische Aspekt:

Ich müsste mir ferner nähere Kenntnisse über Ursula Haverbeck aneignen; denn sie war mir völlig unbekannt, bevor Herr Gerdener mich mit diesem Namen im Hintergrund-Interview zu seinem Hetz-Artikel gegen mich vom 10.8.2021 (Datum der Online-Veröffentlichung) konfrontierte.

Ich müsste wissen, was genau sie gesagt hat und wofür genau sie verurteilt wurde. Und als Rechtswissenschaftler würde ich mir selbstverständlich auch eine eigenständige Bewertung vorbehalten, ob mich das Urteil überzeugt.

Schwab behauptet, vor dem NW-Artikel aus dem August 2021 noch nie etwas von Ursula Haverbeck gehört zu haben. Schwab wurde 2015 an die Universität Bielefeld berufen. 2018 und 2019 fanden in Bielefeld drei Neonazi-Großaufmärsche statt, über die sehr ausführlich und langanhaltend in den Medien berichtet wurde. Die neonazistischen Aufzüge waren über Monate Thema in der Stadtpolitik und sogar im Landtag NRW. In der NW finden sich mehr als 30 Artikel seit 2015, in denen Haverbeck erwähnt wird, ebenso beim Westfalenblatt. Es wurde im regionalen Fernsehen und im Radio dazu berichtet. Auch an der Uni Bielefeld war Haverbeck Thema: das Institut für Konflikt- und Gewaltforschung der Uni Bielefeld veranstaltete im Dezember 2020 eine digitale Podiums-Diskussion, in der Haverbeck ausführlich thematisiert wurde. Das Schwab trotz all dem behauptet, noch niemals etwas von Haverbeck gehört zu haben und zu keiner Bewertung Haverbecks politischer Aktivitäten in der Lage zu sein, ist mehr als unglaubwürdig. Das er auch 8 Monate nach dem ersten NW-Artikel keinerlei Informationen über Haverbeck haben will, ist nur noch dreist. Durch seine Formulierung: „Ich müsste wissen, was genau sie gesagt hat und wofür genau sie verurteilt wurde. Und als Rechtswissenschaftlicher würde ich mir selbstverständlich auch eine eigenständige Bewertung vorbehalten, ob mich das Urteil überzeugt.“ legt Schwab außerdem nahe, dass er Haverbecks einschlägige Verurteilungen u.a. wegen § 130 StGB Abs. 3 potenziell in Frage stellt. Schwabs Äußerungen sind inakzeptabel und juristisch ebenfalls falsch. Zur juristischen Korrektheit und Eindeutigkeit Haverbecks Verurteilungen liegt ein entsprechendes Urteil des Bundesverfassungsgerichts vor (BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom 22. Juni 2018 – 1 BvR 673/18 -, Rn. 1-37). Es obliegt nicht dem persönlichen Geschmäckle von Martin Schwab, ob Ursula Haverbeck die Shoa geleugnet hat. Und es sagt eine Menge über Schwab aus, wenn er dazu keine oder gar eine skeptische Haltung findet. Seine Haltung passt zu der Akzeptanz geschichtsrevisionistischer Mythen und Beteiligung entsprechender Akteur*innen in der Corona-leugnerischen Bewegung.

Wir fordern Rektorat und juristische Fakultät auf, sich konkret zu diesen Aussagen Schwabs zu äußern.

Wir begrüßen die klare Positionierung des AStA und auch die Stellungnahme der Jüdischen Hochschulgruppe der Uni Bielefeld ausdrücklich. Und wir fordern Rektorat und Fakultät auf, die Studierenden in dieser Auseinandersetzung nicht allein zu lassen. Diverse Blogs und Vereinigungen der Corona-leugnerischen Bewegung haben sich mit Schwab solidarisiert und greifen insbesondere den AStA als vermeintlichen Gegner Schwabs heraus. Das Nicht-Verhalten die Verantwortlichen an der Uni Bielefeld stärkt die Unterstützer*innen Schwabs aus der verschwörungsideologischen Szene.

Wir möchten die Stellungnahme des AStA der Uni Bielefeld aufgreifen: die Studierenden der Uni Bielefeld haben ein Recht auf eine Universität, „die sicherstellt, dass keine Falschinformationen und Verharmlosungen der Covid-19-Pandemie in ihren Räumen verbreitet werden. Wir haben ein Recht auf Lehrende, die keine Kontakte zu Neonazis pflegen und kritische Berichterstattung in juristisch unhaltbarer Weise als „Volksverhetzung“ bezeichnen und Journalistinnen drohen“.

Wir fordern das Rektorat und die Fakultät für Rechtswissenschaften auf, sich zu Martin Schwabs Verhalten und Aussagen zu positionieren und seine Aktivitäten nicht länger unkritisch und unkommentiert geschehen zu lassen.

 

Stellungnahme als PDF zum Download: