Am Freitag, den 21.02.2022, folgten rund 2000 Personen dem Aufruf der verschwörungsideologischen Gruppe „Bielefeld steht auf“ und zogen in 4 Demo-Zügen unter starker Polizeibegleitung durch Bielefeld. Im Gegensatz zu den Aufmärschen am 17.12.21 sowie 07.01.22 hatten diesmal die Organisator*innen um André Jesse, Angela Landwehr und Kristina Bergmann die Demozüge angemeldet. In den letzten Wochen wurden unsere Recherchen zu der Beteiligung bekannter militanter Neonazis und neofaschistischer Burschenschafter an den „Bielefeld steht auf“-Demos in den lokalen und überregionalen Medien aufgegriffen. Durch die zunehmend kritische Berichterstattung erhöhte sich der Druck auf das Orga-Team um Jesse, Landwehr und Co., sodass am 13.01.22 erstmals seit Gründung der Gruppe im März 2021 eine Distanzierung von „Extremismus“ formuliert wurde. Seit 8 Monaten haben wir immer wieder auf antisemitische und rechtspopulistische Inhalte in den Chats und bei den Demos von „Bielefeld steht auf“, sowie auf die Teilnahme von Unterstützer*innen von Ursula Haverbeck und Mitgliedern der AfD, JA und Identitärer Bewegung aufmerksam gemacht. Nie gab es auch nur einen Satz der Abgrenzung. Das die neue Distanzierung nichts anderes als Augenwischerei ist, belegen die Inhalte der Telegram-Gruppe auch nach dem 13.01., die von den Admins geduldet werden. Ein konsequentens Vorgehen gegen antisemitische Verschwörungsmythen, rechtspopulistische Propaganda, menschenfeindliche Aussagen würde die Gruppe sprengen. Denn sie machen den Kern des Austauschs unter den Mitgliedern von „Bielefeld steht auf“ aus.
Antisemitische und pronationalistische Kontinuitäten
Seit dem 13.01. haben Jesse und Landwehr hin und wieder Posts gelöscht, wenn Mitglieder ein schlechtes Image für die Gruppe durch allzu offensichtliche volksverhetzende Posts oder allzu offene Gewaltaufrufe befürchteten. In diesen Fällen wird auf die mitlesende Presse, Antifa oder Polizei verwiesen, denen man „kein Futter“ bieten wolle – und nicht etwa auf den Umstand, dass Antisemitismus und Rassismus abzulehnen sind.
Weit mehr 90% der übrigen Inhalte, Links und Texte werden weiterhin akzeptiert. Es wird weiter von „Globalisten“ und „Zionisten“ gesprochen und geschichtsrevisionistische Mythen akzeptiert. So bspw. schreibt Mitglied Dr. Blond am 14.01.: „Hitler war ein Partner der Zionisten. Hitler sowie auch Merkel wurden im Tavistock Institut bei Rothschild ausgebildet und in Deutschland installiert um Deutschland zu zerstören“ (siehe Screenshot). Es wird von linker Umerziehung im Schulsystem gesprochen, homophobe Meinungen geteilt und Partei für bekennende Neofaschisten wie Martin Sellner ergriffen. Die Mitglieder wünschen keine Abgrenzung nach rechts, sie teilen selbst in der Mehrheit rechte Inhalte.
Und sie sprechen sich offen für den Schulterschluss mit Neonazis und Neofaschisten aus. Die vermeintliche Distanzierung des Orga-Teams ist bedeutungslos. Wenn also wie am Freitag 2000 Mitglieder von „Bielefeld steht auf“ und anderer verschwörungsideologischer Chatgruppen durch Bielefeld ziehen, werten wir das als einen rechten Aufzug. Dies zeigt sich teilweise auch augenfällig auf der Straße, durch aggressives Auftreten gegenüber Pressevertreter*innen, aber auch durch Symbole. Eine Person trug eine Gadsden-Flagge, die in den USA vor allem von Anhänger*innen der rechtspopulistischen und antisozialistischen Tea-Party-Bewegung als Symbol genutzt wird.
Sie steht symbolisch für US-Patriotismus, Regierungskritik und die im Zweifel gewaltsame Verteidigung der US-Verfassung. Ein anderer Teilnehmer zeigte auf der Arthur-Ladebeck-Straße den Hitler-Gruß in Richtung des antifaschistischen Gegenprotests (siehe Foto). Auch nach der Demo am 21.01.22 wurden erneut entlang der Route vielfach Sticker neofaschistischer Gruppen gefunden und durch engagierte antifaschistische Bielefelder*innen entfernt.
Beteiligung bekannter Akteur*innen
Auch am 21.01.22 beteiligten sich bekannte Personen der rechten Parteienlandschaft und der neonazistischen Szene am Demonstrationsgeschehen in Bielefeld. Tim Marvin Braungart von der nationalistischen Jungen Alternative lief in dem Zug ausgehend von der Kunsthalle mit JA-Fahne mit. Markus Mittwoch, Mitglied der CDU Bielefeld, beteiligte sich an dem Kesselbrink-Zug.
Mittwoch ist aktives Mitglied des rechten Vereins Werteunion und ist für den Verein sowohl im Bundesvorstand als auch im Landesvorstand NRW als Beisitzer aktiv. Die Werteunion verbreitet unter dem Label Konservatismus nationalistische, antiemanzipatorische und AfD-nahe bis hin zu -identische Positionen. Sowohl das prominente Werteunions-Mitglied Hans-Georg Maaßen als auch der aktuelle Werteunionsvorsitzende Max Otte sind immer wieder durch die gezielte Relativierung und Rechtfertigung rechter Gewalt und Terrors aufgefallen. Ottes Vize-Chef Klaus Dageförde war früher in einer Neonazi-Gruppe als führender Kader aktiv.
Der Bielefelder Malermeister Markus Mittwoch zeigt sich bei Facebook als Fan des früheren Verfassungsschutz-Chef Maaßen und betonte im Mai 2021: „Außerhalb vom Thüringer Wahlkreis von Herrn Maaß [sic!] würde ich niemandem raten die CDU zu wählen“. 2016 rief Mittwoch bereits öffentlich dazu auf, die AfD zu wählen. Am 21.01.22 schrieb Mittwoch auf Facebook: „Ob die heute noch Nazis finden? Und wenn wie mögen die jetzt wohl sein? Ist es da nicht besser der Natur freien Lauf zulassen?“. Der frühere Neonazi Dageförde antwortet: „Ich Sitz [sic] schon im Auto und komme euch unterstützen *Lachsmiley*“. Beide dürften durchaus mit Neonazis bekannt sein. Mittwoch ist dem Neonazi-Skinhead Dirk Stranghöner (Kreis Lippe) befreundet. Stranghöner ist seit mehr als 25 Jahren als Neonazi bekannt und aktiv. Er war unter anderem Teil der neonazistischen „Kameradschaft Bielefeld“ sowie der „Road Crew Ostwestfalen“. Fotos zeigen Stranghöner und Werteunions-Mitglied Markus Mittwoch bei gemeinsamen Wanderungen. Wenn Stranghöner mit anderen bekannten Neonazis wie Marcus Winter (Minden), Michael Sundermann und Jan Weißberg zum Vatertagsausflug loszieht, gefällt das Markus Mittwoch auf Facebook.
Auch andere Online-Kontakte Mittwochs weisen in die Neonazi-Szene um Stranghöner sowie in die rechte Hooligan-Szene von Arminia Bielefeld. Die CDU und auch die Werteunion verneinen eine Nähe zu Neonazis. Wie die Causa Mittwoch dazu passt, wird sich zeigen.
Auch Neonazi und Ex-Reservist Heinz Kriegel nahm mit 3 weiteren Personen, darunter Neonazi und Hooligan Dennis Seibert, an der Demo am 21.01.22 teil. Kriegel und Seibert hatten im Oktober 2020 gemeinsam mit dem damaligen Vorsitzenden der Bielefelder Reservistenkameradschaft RK36 Alt-Bielefeld Michael Reinert eine Demonstration der neonazistischen Kleintspartei „Der dritte Weg“ in Berlin besucht. Seibert und Kriegel sind schon wiederholt bei den Demos von „Bielefeld steht auf“ aufgefallen. Am 17.12.21 beteiligte sich Seibert an einem gewaltsamen Durchbruch am Bielefelder Rathaus.
„Die Medien sind das Virus“
Nach der unangemeldeten Demo vom 07.01.22 wurde in der „Bielefeld steht auf“-Gruppe massiv gegen die lokalen Medien und Journalist*innen gehetzt. Presse und Medien sind innerhalb der ideologisch heterogenen Pandemie-leugnerischen Szene ein übergreifendes Feindbild.
Sie werden als Propaganda-Organe der Regierung oder der eingebildeten geheimen „Elite“ begriffen und werden für die erlebten Einschränkungen verantwortlich gemacht. Bei der Demo vom 07.01.22 kam es zu körperlichen Angriffen auf Presse-Vertreter*innen. Fotograf*innen wurden bedrängt und bedroht. Im Chat wurden Fotos vonJournalist*innen geteilt und zur Gewalt gegen sie aufgerufen („Farbbeutel in die Fresse“).
Lokale Medien wie Radio Bielefeld, der WDR oder die Neue Westfälische sollten besucht und angegangen werden. Widerspruch gab es keinen. Keine der Nachrichten, in denen zu Gewalt gegen einzelne Journalist*innen oder Konfrontationen an den Redaktionsgebäuden aufgerufen wurde, wurde durch die Administrator*innen kritisiert oder gelöscht. Auch am 21.01.22 berichteten Journalist*innen über Beleidigungen und Störungen während der Begleitung der Demo-Züge.
Fazit
Die Demos von „Bielefeld steht auf“ werden von Menschen besucht, die sich von den dort transportierten Inhalten angesprochen fühlen und die den Schulterschluss mit militanten Neonazis bereitwillig eingehen. Gewalt wird toleriert, wenn es dem Gefühl der Ermächtigung auf der Straße dient oder sich gegen gemeinsame Feinde wie Journalist*innen oder die Antifa richtet. Bekannte rechte Akteure nutzen diese Demos, um neue Anhänger*innen zu rekrutieren. Sei es die AfD, JA, die Werteunion oder auch Ableger der Identitären Bewegung oder militante Neonazi-Gruppierungen. Die Zugehörigkeit zur bürgerlichen Mitte ist kein ideologischer Schutzmantel. Die relevanten Überzeugungen und Ideologien müssen zur Bewertung dieser Bewegung in den Fokus genommen werden. Auch Teile der bürgerlichen Mitte hegen antisemitische, rassistische und antiemanzipatorische Überzeugungen. Und eine Minderheit dieser Teile läuft bei „Bielefeld steht auf“ und den anderen Pandemie-leugnerischen Demos regional und bundesweit mit! Die Leute, die sich tagtäglich in diesen Chatforen bewegen, akzeptieren und teilen die genannten Inhalte. Sie entscheiden sich jeden Tag aufs Neue, diese Inhalte unwidersprochen hinzunehmen oder selbst zu verbreiten. Und sie entscheiden sich bei jeder Demo, jeder Mahnwache und Kundgebung aufs Neue dazu, diese Ideologien auf die Straße zu tragen und Antisemit*innen, Neonazis und Reichsbürger*innen neben sich zu dulden. Das ist nicht harmlos, das ist auch nicht unpolitisch. Das sind bewusste Entscheidungen dieser Leute aus der bürgerlichen Mitte der Gesellschaft, sich mit diesen Ideologien und ihren Vertreter*innen gemein zu machen.
Weiterführende Infos:
https://arip.noblogs.org/archiv/nazistrukturen-owl/sonstiges/road-crew-ostwestfalen/
https://www.werteunion.de/bundesvorstand/
https://www.werteunion.de/landesverbaende/nordrhein-westfalen/
https://www.youtube.com/watch?v=yb4mcayeUsk
Stellungnahme als PDF zum Download: