Gestern kam es zu einer Großdemonstration von ca. 3000 Verschwörungsgläubigen, die dem Aufruf der verschwörungsideologischen Gruppe „Bielefeld steht auf“ um André Jesse und Angela Landwehr gefolgt waren. Der Aufruf der Gruppe wurde regional und bundesweit in einschlägigen Telegram-Gruppen, aber auch über neonazistische Kanäle sowie AfD-Kreisverbände verbreitet. Nachdem bereits am 03.12. eine verschwörungsideologische Großdemo reibungslos ohne Masken- und Abstandsauflagen von der Polizei Bielefeld ermöglicht wurde und die Presse zunächst uneingeschränkt verharmlosend darüber berichtet hatte, schlossen sich der Telegram-Gruppe „Bielefeld steht auf“ in den letzten zwei Wochen über 1500 neue Mitglieder an. Wir haben konstant öffentlich auf das Mobilisierungspotenzial, das Personenspektrum und auch die Mobilisierung in Neonazi-Kreisen hingewiesen. Dennoch zeigte sich die Polizei gestern angesichts der Einschätzung der bei „Bielefeld steht auf“ Demonstrierenden erneut vollkommen unfähig. Sowohl auf der Straße als auch in der anschließenden Einschätzung der Polizeisprecherin Sonja Rehmert. Rehmert ließ gegenüber der Presse verlautbaren, nur ein einzige Person aus der Neonazi-Szene sei der Polizei aufgefallen. Dabei bewegte sich eine größere Gruppe polizeibekannter Neonazis von Beginn an unter den Demonstrierenden – und nahm bei den Ausschreitungen am Rathaus gegen 19:25 Uhr eine entscheidende Rolle ein.
Videos belegen die Beteiligung der Neonazis Lennard Sanner und Christian Lange (beide aus Horn-Bad Meinberg), Meinhard Otto Elbing und Jan Tiemann (Bielefeld) an der Ausschreitungssituation. Sanner ist zu sehen, wie er die umstehenden Demonstranten wild gestikulierend zur weiteren Aktion anstachelt. Die bekannten Neonazis bewegten sich in einer Gruppe von ca. 10 teilweise vermummten Neonazis. Außerdem unter ihnen und ebenfalls an dem Durchbruch am Rathaus beteilligt: Florian Rust, Vorsitzender der Jungen Alternative (JA) Bielefeld. Rust hatte sich schon auf dem Kesselbrink in dem Trupp militanter Neonazis bewegt, gut zu erkennen an seinem hellen Mantel und der großen Flagge mit dem Bielefelder Stadtwappen, die er mit sich führte. Rust nahm in der Vergangenheit wiederholt an Demos von „Bielefeld steht auf“ teil, z.B. am 24.09.2021. Er ist seit Juni 2021 Vorsitzender der JA Bielefeld und organisiert ihren monatlichen Stammtisch bei der ultranationalistischen Burschenschaft Normannia Nibelungen, an dem sich teilweise auch Neonazis beteiligten. Rusts Anwesenheit in der Neonazi-Gruppe gestern ist ein weiterer Beleg für die Bereitschaft der AfD, sich mit Unterstützung militanter Neonazis politisch in Szene zu setzen.
Die gestrigen von lokalen Neonazis teilweise angeleiteten Ausschreitungen waren zu erwarten! Wir und auch die Gruppe Antinationale Linke Bielefeld (ALIBI) sowie die Jugendantifa Bielefeld haben seit dem 03.12. auf die fatalen Folgen der positiven Erstberichterstattung und polizeilichen Einschätzung der Demo am 03.12. hingewiesen. Die Polizei Bielefeld leugnet auch für den 03.12. die Teilnahme von Neonazis, wir haben die Teilnahme des Ex-Reservisten und Neonazi Heinz Kriegel durch Fotos belegt. Schon in der Vergangenheit haben immer wieder Unterstützer*innen der Holocaustleugnerin und Nationalsozialistin Ursula Haverbeck an den Demos teilgenommen, auch diesen Umstand haben wie wiederholt öffentlich gemacht. Diese Personen sind bei den neonazistischen Haverbeck-Aufmärschen in Bielefeld 2018 und 2019 aufgefallen. Mindestens 4 der Haverbeck-Unterstützer*innen nahmen auch gestern an der Demo teil. Außerdem sind auch die bekannten Neonazis Tim Sauer, Jan Tiemann (Bielefeld) und Rene Heitmann (Gütersloh) unter den Teilnehmenden gewesen. Aus Detmold-Berlebeck kamen die beiden bekannten Neonazis und Funktionäre der verbotenen Heimattreuen Deutschen Jugend (HDJ) Gerd und Anna-Maria Ulrich. Gerd Ulrich leitete in den 1990er Jahren eine Wehrsportgruppe, ist wegen Sprengstoffdelikten vorbestraft und führt bis heute paramilitärische Schulungen von Kindern aus der Neonazi-Szene auf seinem Grundstück durch. Das Ehepaar Ulrich nimmt seit Pandemie-Beginn an verschwörungsideologischen Demos regional und bundesweit teil und organisiert eine wöchentliche Schilderaktion in Detmold, an der auch schon Mitglieder von „Bielefeld steht auf“ teilnahmen. Gerd Ulrich ist außerdem Teil eines verschwörungsideologischen Zusammenschlusses von Reservisten und Veteranen. Aus Bünde reiste der erst kürzlich wegen Holocaustleugnung verurteilte Neonazi Kai Berger an. Auch die Neonazis Heinz Kriegel und Dennis Seibert waren gestern vor Ort. Kriegel musste nach unseren Recherchen im Februar den Reservistenverband und die Bielefelder Reservistenkameradschaft RK36 Alt-Bielefeld verlassen. Des weiteren zeigte sich eine größere Gruppe türkischer Nationalisten, die den „Grauen Wölfen“ zugeordnet werden können. Der Großteil der genanten Neonazis ist übrigens einschlägig polizeibekannt.
Das sich die Gruppe um Sanner, Lange und Elbing sowie die Ulrichs bei „Bielefeld steht auf“ eingefunden haben ist dabei nicht nur Ausdruck der ideologischen Schnittmengen, die die Neonazis mit der antisemitischen Verschwörungsszene haben. Die verschwörungsideologischen Großdemos bieten den militanten Neonazis eine perfekte Kulisse, um ihre Tag-X-Umsturzfantasien zu proben. Sie proben sich in Straßenkampf-Szenarien und werben um Unterstützer*innen auf der Straße. Lennard Sanner, Christian Lange und auch Gerd Ulrich reisten 2018 zu den rassistischen Ausschreitungen nach Chemnitz und beteiligten sich dort an den Auseinandersetzungen mit der Polizei. Auch hier liefen AfD, JA und militante Neonazis Schulter an Schulter.
Die verschwörungsideologische Szene mit ihrem ideologischen Überbau reicht dieser militanten Szene bereitwillig die Hand. Die Geschehnisse gestern am Rathaus zeigen, dass die Neonazis in Bielefeld am 17.12. mit Unterstützung rechnen konnten. Und die Fehleinschätzung der Polizeipräsidentin Rehmert zeigt, dass diese bekannten Neonazis nicht mit einer konsequenten polizeilichen Intervention zu rechnen haben.
Vor unseren Augen entsteht gerade eine rechte verschwörungsideologische Großbewegung, die nicht von Neonazis unterwandert wird, sondern ihnen bereitwillig die Hand reicht. Wie gefährlich die Verschwörungsmythen der Pandemie-Leugner*innen sind, zeigen uns die Morde von Idar-Oberstein und Senzig allzu deutlich auf. Diesen Leuten die Straße zu überlassen, arbeitet ihrem Gefühl von Überlegenheit und Legitimität zu. Und ebnet Neonazis den Weg zur Tag-X-Probe. Dieses Wissen ist nicht neu, diese Szenarien zeigen sich seit Pandemie-Beginn bei den verschwörungsideologischen Großdemos bundesweit, z.B. in Berlin, Leipzig oder Kassel. Und das Verschwörungsmythen und rechter Terror Hand in Hand gehen, muss allen spätestens seit den Anschlägen von München, Halle und Hanau mit 20 Todesopfern schmerzlich bewusst sein.
Heute ist der 18.12.2021. Heute vor genau 3 Monaten wurde Alex W. In Idar-Oberstein von einem verschwörungsgläubigen Maskenverweigerer ermordet. Er wurde 20 Jahre alt.
Link zu den Videos mit der Rathausszene:
https://twitter.com/RechercheKolle1/status/1471952812959490048
https://twitter.com/mor_schl/status/1471912285706805257
Hier die Stellungnahme auch noch mal als PDF zum Download: